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Pater Stefan Maria Stirnemann
Archevêché, B. P. 2016, Conakry Rép. Guinée, (West. Afr.)
Tel. (00224) 664 78 75 51
E-Mail: This e-mail address is being protected from spambots. You need JavaScript enabled to view it




Conakry, den 12. Oktober 2015



Liebe Verwandte und Freunde,



wieder einmal bitte ich Sie auf Knien um Entschuldigung, weil ich Ihnen seit ewigen Zeiten kein

kleines persönliches Wort geschrieben habe. Wo Sie es doch sind, die es uns ermöglichen, so viel Leid zu lindern.

Tatsächlich bin ich überrollt von Tausenden von Anfragen und Bitten: unsere Pfadfinder bräuchten Kleidung, andere weinen, weil sie keinen Fernseher haben, die Polizei kommt, weil etwas gestohlen worden ist … „Pater, meine Großmutter ist krank …“ „Schnell, kommen Sie, eine Frau mit einem Koffer voller Kleidung steht vor der Tür …“ Und so wird es wieder ein Uhr nachts, und kein Brief an die Freunde ist geschrieben. Sie kennen schon den Refrain von Pater Stefan: „Überrollt! Überrollt!“



Heute vermelde ich Ihnen eine Neuigkeit: Seit drei Monaten wagt Pater Stefan etwas ganz Außergewöhnliches! Im Juni habe ich folgendes einem Freund geschrieben: „Wir stecken in einer finanziellen Krise: Seit zwei Monaten wurden unsere Arbeiter nicht bezahlt, wir haben viele Schulden. Viele unserer Kleinen müssen noch auf dem Boden schlafen – trotz eines Containers mit 88 Matratzen aus Regensburg. Manche jammern wochenlang, weil ihre Sandalen zerfetzt sind und wir nicht das Geld haben, neue zu kaufen.“

Aber all diese Probleme sollen uns nicht davon abhalten, in Freude zu leben und zu singen.

Genau in diesem Moment der finanziellen Krise also hat Pater Stefan ein außergewöhnliches Wagnis vorgenommen. Er hat beschlossen, die Gehälter seiner Angestellten zu erhöhen und die Sozialversicherung zu zahlen, um dem Gesetz zu entsprechen. Tatsächlich verdient ein Grundschullehrer in Guinea 250,- Euro; an der Realschule sind es 300,- Euro.  Unsere eifrigsten Arbeiter dagegen erhalten nur 200,- Euro, die mit weniger Arbeitszeit müssen sich mit 55,- Euro abfinden. Deshalb haben wir beschlossen, die Gehälter auf 240,- Euro zu erhöhen, für die weniger gut bezahlten Posten auf 180,- Euro.

Seit 3 Jahren konnten wir die Sozialversicherung für unsere Angestellten nicht mehr bezahlen.

Das wäre jährlich 23 670,- € gewesen. Im Grunde hilft uns das nichts, denn es kostet uns mehr die Medikamente und die Pflege für die, die krank werden, zu übernehmen. So haben wir uns vorgenommen unsere Schulden an die Sozialversicherung zu bezahlen damit alles seine Richtigkeit hat, damit jeder unserer Angestellten gepflegt werden kann und später eine Rente bekommen kann um leben zu können.

Ich weiß noch nicht, wo ich das Geld hernehmen werde, aber der Heilige Joseph hat uns noch nie verlassen.



Glücklicherweise hat sich in den letzten drei Monaten die Situation etwas verbessert. Wir haben sogar eine Spende bekommen für drei „Baby-Foots“. Nun können wir die Finanzierung unseres großen Wagnisses in Angriff nehmen. Der Lohn der Lehrer ist bereits angehoben worden – es bleibt noch das Problem mit der Sozialversicherung.

Ansonsten aber geht es uns gut in den Heimen.

Die Straßenkinder sind und bleiben unsere Hauptaufgabe. Gerade komme ich von einem Heimaturlaub zurück und werde als Erstes in der Nacht zum Markt gehen, um die Kinder aufzulesen, die auf der Straße schlafen.

Lassen Sie mich kurz von Kindern erzählen, die gestern Abend im Heim angekommen sind.



-   Boubakar ist bei seiner Großmutter aufgewachsen. Dieser Kerl ist weggegangen, weil er arbeiten sollte und nicht

zur Schule gehen durfte. Er hat auf dem Markt als Gepäckträger gearbeitet, bis er genügend Geld beisammen hatte,

um nach Conakry zu gelangen, wo er sich zwei Wochen auf der Straße herumtrieb, bevor ihn jemand auf das

Josephs-Heim aufmerksam machte.

-   Amadou, ebenso ein Junge, der in einem Dorf weit weg von Conakry bei seiner großen Schwester aufgewachsen

ist. Auch sie hat ihm nicht erlaubt, die Schule zu besuchen, weil er arbeiten sollte. Er floh. Jetzt ist er fünfzehn

Jahre alt, aber hat sieben Jahre auf der Straße gelebt.

-   Daouda, ein älterer Junge, ist bei einer alten, lebensmüden Großmutter aufgewachsen. Sie hatte genügend Geld,

um einen Holzkohlehandel zu betreiben. Aber er war es, der die Kohle bewachen musste. Diebe haben die Kohle

gestohlen. Jetzt wird er beschuldigt, der Dieb zu sein … Er floh.

-   Ein Mädchen Mariam war bei einer Tante in Conakry. Aber die ist weggegangen, 1000 km weit und hat sie bei

Nachbarn gelassen, wo es nichts zu essen gab… So kam sie, um an unsere Tür zu klopfen.

-   Cissé hat mir folgenden Brief gezeigt: „Ich bin nach Conakry gekommen mit einem Fischer, der mich einfach

stehen gelassen hat. Sie haben mich gefunden, vor drei Jahren, bei Nacht, als ich auf dem Markt am Boden schlief.

Sie haben mir die Rückreise nach Sierra Leone ermöglicht, zu meiner Familie. Meine Mutter ist alt geworden,

mein Vater blind. Ich habe drei Jahre lang gearbeitet. Jeden Tag habe ich Wasser im Brunnen geschöpft; ich habe

die Kleider der Leute gewaschen, damit ich genügend Geld verdiene, um hierher, nach Conakry zurückreisen und

Ihnen meine Lage erklären zu können.“



Jetzt kann ich Ihnen noch eine große und gute Nachricht mitteilen: Es ist uns endlich gelungen, unsere alte Bäckerei aufzugeben, die uns monatlich 1000,- Euro kostete und unsere neue Bäckerei ist installiert.



Die zweite wichtige Aufgabe des Heims sind die Kliniken für unsere Allerärmsten. Glücklicherweise sind wir von Ebola verschont geblieben.

Vor dem Wartezimmer unseres Arztes stehen täglich Dutzende von Armen, die sich einen Arztbesuch nicht leisten können. Dank „Medeor“ in Deutschland und dem Malteserorden, können wir sie umsonst versorgen.

In einem Jahr sind 12 259 Patienten, davon 10 396 Kinder gekommen. 6094 Menschen haben wir einen Krankenhausaufenthalt in den großen Krankenhäusern Conakrys ermöglicht. In unseren beiden Kliniken sind wir in erster Linie auf Wundversorgung spezialisiert. Wenn die Menschen auf der Straße leben, gelingt es ihnen jahrelang nicht, ihre Wunden adäquat zu versorgen, sodass sie immer größer werden und bisweilen drei Viertel des Beines  bedecken. Manchmal dauert es Monate, sie zu heilen.



Die dritte Aufgabe des Heimes ist das Sozialbüro. Nur wenige Menschen haben Geld übrig, um die Sozialversicherung zu bezahlen. Wenn der Ehemann krank ist, muss seine Frau oft alles verkaufen, um das Krankenhaus zu bezahlen. Sie muss ihr Geschäft verkaufen und oft auch alle Ihre Möbel. Schließlich kann sie auch die Miete nicht mehr bezahlen und muss sich mit all ihren Kindern in das Wohnzimmer einer Freundin quetschen…

Mit 70 Euro kann man eine Familie retten. Die Frau kann damit Schuhe und gebrauchte Kleidung kaufen und damit einen Gebrauchtwarenhandel aufziehen, und die Familie ist gerettet!



Die vierte Aufgabe des Heimes besteht in der Gefangenenfürsorge. Die Gefangenen bekommen kaum zu essen, magern zu Skeletten ab, wenn sie nicht gar im Gefängnis sterben (sieben Todesfälle innerhalb eines Jahres in einem Gefängnis!) Unser Beauftragter hilft enorm bei der Versorgung der Häftlinge mit Essen. Er beobachtet die Fälle von Minderjährigen Häftlingen. Innerhalb eines Jahres ist es ihm gelungen, dreizehn Gefangene freizubekommen und sich um ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu kümmern.



Schließlich dürfen auch die Bettler nicht vergessen werden, vor allem diejenigen mit einer Behinderung, die sich zum Schlafen nur unter einen Sonnenschirm flüchten können. Zwar sterben sie nicht an Hunger, denn die Moslems sind sehr großzügig mit ihren Gaben. Aber das reicht ihnen nicht, um ein Zimmerchen zu mieten; und auch nicht für Medikamente. So kaufen wir ihnen regelmäßig Medizin und ermöglichen es ihren Kindern, die Schule zu besuchen.



Meine lieben Freunde, es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen seit Jahren nicht ein kleines persönliches Wort schreiben konnte. Ich denke voller Dankbarkeit an Sie. Viele von Ihnen sind uns schon seit Jahrzehnten freundschaftlich verbunden. Ich hoffe von Herzen, dass ich einmal dazu kommen werde, Ihnen meine Freundschaft und tiefe Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen.

Ihnen allen, die Sie uns freundschaftlich begleiten, möchte ich wie der Apostel Paulus den Philippern, die ihn finanziell unterstützt hatten, zurufen: „Ich habe eure Gaben erhalten, die von eurer Güte zeugen und die Gott ein Wohlgefallen sind. Und unser Gott wird all eure Bedürfnisse erfüllen, aus seiner unendlichen Güte heraus, in Jesus Christus.“



Jedenfalls, Ihr alle meine Freunde, seien Sie versichert, dass ich für sie bete.

Möge der Herr, unser Gott der Liebe, der uns viel mehr geben möchte als wir erwarten können, Sie überschütten mit seinem Frieden und seiner Freude, und Ihnen immer mehr Liebe zu Gott und dem Nächsten schenken.




Stefan Maria



 
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